Erstmalige Flutung der Havelpolder – von Thomas Preiß
Als sich Anfang August 2002 nach den ergiebigen Dauerniederschlägen im Einzugsgebiet und den Nebenflüssen der Elbe aus dem Erzgebirge die Hochwasserwelle Richtung Brandenburg/ Niedersachsen zu bewegt, gibt es ein durchaus historisches Ereignis.
Erstmalig, 47 Jahre nach ihrer Fertigstellung wird entschieden, die Havel-Polder zu fluten. Hierbei handelt es sich um eine einmalige kombinierte Gesamtanlage bestehend aus mehreren Wehren bzw. Wehrgruppen, die den Zufluss der Havel in die Elbe bei Havelberg reguliert.
Wie funktioniert die Anlage bei Hochwasser? Bei einem zu erwartenden Elbe Hochwasser mit einem Wasserstand von mehr als 6,80 m am Pegel Wittenberge kann über das Wehr Gnevsdorf und die Wehrgruppe Quitzöbel im Mündungsgebiet der Havel zur Elbe zunächst das unkontrollierte Einfließen der Elbe in die Havel unterbunden werden, was die Niederungen im Mündungsgebiet der Havel vor Hochwasser schützt.
Wehrgruppe Quitzöbel beim Hochwasser 2013; Foto: Steffen Bohl, Havelpolder.de
Über das Wehr Neuwerben, das geschlossen ist und erstmalig im Hochwasser 2002 geöffnet wurde, kann ein Teil der Hochwasserwelle der Elbe kontrolliert in die Havel umgeleitet werden. In der Havel allein stehen dafür 161 Mio. m³ Stauraum zur Verfügung. Reicht dies nicht aus, so wie 2002 können entlang der Havel insgesamt 8 Polder geflutet werden. Zusammen ergibt dies einen weiteren Stauraum von 125 Mio. m³. Mit den Wehren und der Wehrgruppe können in Summe die kontrollierte Flutung von 286 Mio. m³ Stauraum gesteuert werden. Damit kann der Scheitel der Elbe um bis zu 40 Zentimeter abgesenkt werden.
Ein Staatsvertrag zwischen den Ländern Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und dem Bund regeln heut zu Tage die Koordinierung und Abstimmung über die Havel-Polder im Hochwasserfall. Umfangreiche Sanierungen in den letzten Jahren gewährleisten, dass auch in Zukunft diese einmalige Anlage ihrer Funktion gerecht werden kann.
Die untenstehende Grafik zeigt die Auswirkungen auf den Hochwasserscheitel bei Aktivierung der Havel-Polder im August 2002.
Quelle: Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV), abgerufen auf der Website www.havelpolder.de am 12.08.2022
Gerade erst jährte sich die große Hochwasserkatastrophe von Ahr und Erft zum ersten Mal.
Ein flächigeres Ereignis feiert in diesen Tagen ebenfalls „Jubiläum“: vor 680 Jahren ereignete sich das sogenannte Magdalenenhochwasser. Es setzte weite Landstriche zwischen Rhein und Oder unter Wasser und kostete laut Überlieferungen tausende Menschen das Leben. Ursächlich hierfür war ebenfalls wie bei den Hochwassern 2002 oder 2013 eine Vb-Wetterlage.
WDR 5 hat dazu einen Hörbeitrag herausgebracht, der unter folgender Adresse aufrufbar ist:
Ein umfangreicher Bericht im “Disaster Research Blog” der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität Berlin beleuchtet unterschiedliche Aspekte der Hochwasserkatastrophe vom vergangenen Jahr. So wird ein objektiver Blick beispielsweise auf die Warnlage vor dem Ereignis, die Einbindung von Spontanhelfenden oder die Strukturen des Zivil- und Katastrophenschutzes geworfen.
Die Hochwasserkatastrophe 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat im Zusammenwirken von Wasserwirtschaft und Katastrophenschutz Schwächen aufgezeigt, die sich nachteilig auf den operativen Hochwasserschutz auswirkten.
Rückblickend werden die Ereignisse im Juli 2021 aus meteorologischer wie hydrologischer Sicht als ein außergewöhnliches Ereignis eingeordnet, das es lokal wie auch regional in diesem Ausmaß so noch nicht gegeben hat.
Angesichts der Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses stellt sich die Frage, ob hier der Katastrophenschutz bzw. der operative Hochwasserschutz an seine Grenzen kommt bzw. sogar an seine Grenzen kommen darf.
Mit Blick auf die Europäische Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie wird jedoch explizit gefordert, in die Betrachtungen auch „seltene Hochwasserereignisse“ einfließen zu lassen bzw. auch „signifikante Hochwasser der Vergangenheit“, wenn diese zu erwartbaren nachteiligen Folgen bei zukünftigen Ereignissen führen würden.
Signifikante Hochwasser der Vergangenheit waren zuweilen an der Ahr durchaus bekannt, z.B. 1804, 1888 und 1910. Auch davor um 1600 bzw. 1700 kam es zu markanten Hochwasserereignissen, von denen historische Quellen bisweilen berichten.
Was heißt das aber für den Katastrophenschutz? Welche Auswirkungen hat das auf den operativen Hochwasserschutz? Zunächst, dass es keine Grenze geben
kann, bis zu der ein Handeln des Katastrophenschutzes erwartet werden kann. Katastrophenschutz muss auch das undenkbare Denken, muss Pläne, Konzepte vorhalten auch für den Fall eines historischen Hochwassers, wenn es dann eintritt.
Für den operativen Hochwasserschutz bedeutet dies, dass der Begriff zunächst weiter zu entwickeln ist und sich nicht allein auf ein Bündel von Maßnahmen zur Bewältigung der Hochwasserereignisse beschränken kann.
Dazu schlägt u.a. Prof. Jüppner von der Technischen Universität Kaiserslautern folgende Definition vor:
„Der operative Hochwasserschutz umfasst alle einsatzvorbereitenden und -durchführenden Maßnahmen und Planungen an der Schnittstelle zwischen Katastrophenschutz und Wasserwirtschaft mit dem Ziel, über die rein wasserwirtschaftliche Hochwasservorsorge hinaus Risiken vorzubeugen und Schäden durch Hochwasser und Starkregen zu reduzieren.“
Bisweilen konzentriert sich die wasserwirtschaftliche Hochwasservorsorge an dem politisch, technisch und finanziell umsetzbaren Möglichen. Das ist keine Kritik. Es reicht aber für den operativen Hochwasserschutz im Rahmen des Katastrophenschutzes nicht aus.
An nicht wenigen Flussläufen sind signifikante Hochwasserereignisse bekannt, die über den üblichen Bemessungsansätzen technischer Hochwasserschutzanlagen liegen. Das Wissen darum benötigt aber der Katastrophenschutz, weil es in einem Konzept zum operativen Hochwasserschutz Eingang finden muss. Welche potentiellen Risiken haben insbesondere
signifikante Hochwasserereignisse der Vergangenheit, wenn sie so in der Gegenwart passieren würden im Hinblick „auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und wirtschaftliche Tätigkeiten“.
Foto: Manó Schütt
Das wäre dann auch die Lehre aus den Ereignissen 2021. Die hier aufgetretenen Ereignisse, auch wenn es sich zu teilen um Hochwasserereignisse handelt, die statistisch alle 500 oder 1.000 Jahre auftreten, müssen in die Risikobetrachtung mit einbezogen werden.
Zu berücksichtigen ist auch, dass mitunter das Ereignis auf technische Hochwasserschutzanlagen treffen kann, denen ein Bemessungsansatz zugrunde liegt, der zwar ein gewähltes Schutzziel erfüllt, das jedoch im Rahmen des politisch, technisch und finanziell umsatzbaren liegt, aber nicht im Rahmen des potentiellen Risikos.
Mehr und bessere Informationen sind jedoch nur das eine. Das andere sind eine bessere Kommunikation und ein besseres Verständnis füreinander.
Der Katastrophenschutz ist nicht für den operativen Hochwasserschutz geschaffen. Operativer Hochwasserschutz ist nur Teil des Ganzen einer Vielzahl von Szenarien die vom Eisenbahnunglück, Hitze/ Dürre, über den Waldbrand, den Ausfall kritischer Infrastruktur bis hin zum Orkanereignis reicht. Bei allem stehen immer im Mittelpunkt die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und die wirtschaftlichen Tätigkeiten.
Damit verbunden sind Entscheidungen von mitunter nicht zu unterschätzender Tragweite. Entscheidungen die auf fundierten, sachgerechten Informationen beruhen müssen, wenn die Frage im Raum steht, ob denn dem angekündigten Hochwasserereignis die Evakuierung eines ganzen Tales folgen muss.
Nach den Ereignissen in 2021 sollte im Ergebnis der Debatte das Ziel sein, wie Wasserwirtschaft und Katastrophenschutz besser Zusammenwirken können und sich die Hochwasservorsorge und der operative Hochwasserschutz gemeinsam verbessern lassen.
Mindestens 189 Menschen kamen im vergangenen Sommer bei der Flutkatastrophe ums Leben, die sich vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz abspielte. Es war eine der größten Naturkatastrophen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn viele von einer Jahrtausend-Flut sprechen: Wetterexperten rechnen damit, dass sich solche Ereignisse wegen des Klimawandels künftig häufen werden. Umso wichtiger ist jetzt eine Antwort auf die Frage: Was ist damals schiefgelaufen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Reportage des Senders ARD. Betroffene kommen zu Wort und das Handeln der politisch Verantwortlichen wird durchleuchtet.
Naturkatastrophen gehören mittlerweile auch im bislang sicher geglaubten Mitteleuropa zur Realität – das hat zuletzt das Hochwasser 2021 deutlich gezeigt.
Der Sender ARTE rekonstruiert ein knappes Jahr nach der Katastrophe die Geschehnisse an der Ahr anhand von Erzählungen von Betroffenen.
Weiterhin wird der Frage nachgegangen, ob das Geschehene einfach nur ein außergewöhnliches Wetterereignis war, oder ob es auf die Klimaveränderungen zurückzuführen ist.
Foto: Miriam Herrmann
Forscher der Universität Bonn kommen zu erstaunlichen Erkenntnissen.
Durch ihre Arbeit fanden sie beispielsweise heraus, dass es in der Vergangenheit zwar Ereignisse mit ähnlich hohem Abfluss gab. Dieser hat sich jedoch aufgrund der noch nicht durchgeführten Eingriffe in die flussnahe Landschaft anders ausgeprägt.
Das Video ist bis Ende September unter folgendem Link verfügbar:
Seit Jahren veranstaltet die DWA e.V. (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.) Schulungen für Interessierte sowie für Menschen, die beruflich mit Deichverteidigung zu tun haben können.
Die Schulung zum geprüften Deichverteidiger wird an unterschiedlichen Orten angeboten, neben Hamburg, Dresden und Köln auch in Duisburg:
Heute jährt sich die große Sturmflut von 1962 zum 60. mal. Auf unseren Social Media-Kanälen berichten wir mit Hintergrund-Informationen und Zeitzeugenberichten.
Auch der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher wendet sich mit einer Videobotschaft zum Jahrestag der Hamburger Sturmflut 1962 an die Bevölkerung:
Und auch aktuell liegt neben Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes auch wieder eine Sturmflutwarnung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) vor. Informieren Sie sich regelmäßig und leisten sie den Hinweisen und Anweisungen der Behörden Folge!
Über die Seite kommt Ihr zu den jeweils zuständigen Hochwasserzentralen der Bundesländer. Dort finden sich ebenfalls hydrologische Lageberichte, Links zu Pegeln usw.
Aktuell liegen in verschiedenen Regionen bereits mehrere Pegel oberhalb von Warnwerten.
Detaillierte und gezielte Warnungen zu den einzelnen Regionen können wir Euch leider mangels Kapazitäten nicht zur Verfügung stellen. Sollten sich akute Lagen entwickeln, berichten wir auf unseren Social Media-Kanälen:
Eine unabhängige Expertenkommission aus Vertreterinnen und Vertretern der zivilen Gefahrenabwehr, Wissenschaft und weiteren Fachleuten wird die Erfahrungen der rheinland-pfälzischen und nordrhein-westfälischen Starkregenkatastrophe auswerten. Das hat das Präsidium der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) beschlossen. Aus den Ergebnissen sollen Lösungsvorschläge und Initiativen zur Verbesserung der Gefahrenabwehr erarbeitet werden. Erste Ergebnisse sollen noch im Herbst vorliegen.
Bild: Miriam Herrmann
Um möglichst viele Facetten in die Auswertung einfließen zu lassen, hat die Expertenkommission eine Umfrage entwickelt: