Sturmflut oder Sturmhochwasser?

Von Thomas Preiß

Die Wetterlage in den vergangenen Tagen hat an der deutschen Ostseeküste teils deutliche Spuren hinterlassen: gebrochene Deiche, abgetragene Dünen, weggespülte Sandstrände, gekenterte Boote, abgebrochene Küstenstreifen oder zerstörte Uferpromenaden. Um nur einige markante Auswirkungen zu nennen. 

Zingst; abgebrochener Küstenstreifen

Aber was war das Ereignis? Eine Sturmflut? Ein Sturmhochwasser? Oder irgendwie beides? 

In den Medien waren stets beide Begriffe zu Lesen und zu Hören. Doch was ist nun richtig? Um es gleich zu Beginn richtig zu stellen: es handelt sich hier um ein Sturmhochwasser. Von einem Sturmhochwasser wird dann gesprochen, wenn langanhaltender auflandiger Wind das Wasser auf die Küsten zutreibt und das Geschehen unbeeinflusst vom Tidenhub, also von Ebbe und Flut ist. In der Hydrologie wird dieser Effekt als Windstau definiert. Windstau kann durch die Gezeiten, hier die einsetzende Flut, überlagert werden. In diesem Falle ist der korrekte Begriff Sturmflut.

Umgangssprachlich wird der Begriff Sturmflut auch für das jetzige Ereignis verwendet. Blickt man in alte Chroniken entlang des Ostseeraumes, ist diese ungenaue Begrifflichkeit weit verbreitet. Schon unsere Vorfahren benutzten den Begriff der Sturmflut. Erinnert sei an dieser Stelle an die Große Sturmflut vom 12./13. November 1872 (Sturmflut_1872.pdf (bsh.de).

Doch wie kommt es zu einem Sturmhochwasser an der Ostsee? 

Anders als bei einem Flusshochwasser braucht es hier nicht den Regen, sondern den Wind als steuerndes Medium. Voraussetzung ist zunächst eine ablandige Wetterlage, die das Wasser durch langhaltende und starke Winde aus Richtung Südwest zunächst u.a. von der deutschen Ostseeküste in Richtung Baltikum und finnischen Meerbusen drückt. Dadurch strömt nun mehr durch die Belte und Sund für einen längeren Zeitraum Wasser aus der Nordsee in die Ostsee. Mit der Bezeichnung Belte und Sund ist das Seegebiet der drei Meeresstraßen zwischen Dänemark und Schweden gemeint, die das Binnenmeer Ostsee mit dem Kattegat, einer Bucht der Nordsee verbindet.

Dreht nun innerhalb weniger Tage die Windrichtung mit Sturm auf Nord bis Ost (um zirka 180°) wird das aufgestaute Wasser nun mehr aus dem östlichen Teil der Ostsee in den westlichen Teil der Ostsee zurückgedrückt. Der hier entstehende Effekt wird auch als „Badewanneneffekt“ bezeichnet. Das nun mehr zurückdrückende Wasser kann durch die engen Meeresstraßen der Belte und Sund nicht so schnell in die Nordsee zurückfließen und es entsteht ein Hochwasser, u.a. an der deutschen Ostseeküste. Zunehmender Wind z.B. mit orkanartigen Böen oder Orkan kann den Effekt des Hochwassers an der westlichen Ostseeküste zusätzlich verstärken.

Vorhersage vs. Realität? 

Zuständig für die Vorhersagen in Bezug auf eine Sturmhochwasserlage an der deutschen Ostsee ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie – kurz BSH (BSH – Startseite). Zu Beginn der sich abzeichnenden Wetterlage gab es im Laufe des 18. Oktober 2023 eine in den Medien mit Bezug auf das BSH veröffentlichte Warnung von einem leichten bis mittleren Sturmhochwasser. 

Vorhergesagt waren ab Donnerstagnachmittag Wasserstände in der Kieler und Lübecker Bucht von 1,30 bis 1,50 Meter über dem mittleren Wasserstand, westlich und östlich von Rügen von 1,10 Meter über Normalmittelwasser (NMW). Der Höhepunkt des Hochwassers wurde dann in der Nacht vom Freitag aus Samstag erreicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die Warnungen des BSH bereits deutlich verschärft wurden hin zu einem schweren Sturmhochwasser mit Schwerpunkt der Kieler und Lübecker Bucht. In Flensburg lag der Scheitel bei 2,30 Meter über dem mittleren Wasserstand. 

Vergleicht man das Ereignis mit zurückliegenden Ereignissen wird deutlich, dass sich ein Küstenhochwasser nicht so präzise prognostizieren lässt, wie man es mitunter von Fließgewässern im Binnenland gewohnt ist. In der Regel werden die Warnungen mit einer Vorlaufzeit von 24 Stunden (+/-) herausgegeben. 

Mit welchen Unwägbarkeiten zu rechnen ist zeigte sich am 30./31. Januar 2022. Hier sorgte zunächst Wind aus West für Niedrigwasser an der westlichen Ostseeküste, ehe der Wind in der östlichen und nördlichen Ostsee um 180° Grad drehte und das Wasser nun zurückdrückte (Badewanneneffekt). Obwohl der Wind an der deutschen Ostseeküste bereits am 30. Januar 2022 stark nachließ, entwickelten sich die Wasserstände zu einem mittelschweren Hochwasser. 

Der Grund hierfür war, dass sich im zentralen Raum der Ostsee ein Sturmtief zu einem Orkantief vertiefte und das Wasser stärker als erwartet auf die westliche Ostseeküste drückte. 

Anders dagegen am 14./15. Oktober 2009. Hier lagen die Wasserstände im Bereich der Vorhersage, allerdings verschoben sich die Höchstwasserstände deutlich nach hinten. Hintergrund war hier, dass sich zwischenzeitlich der Wind abschwächte, dann aber lang anhaltend auflandig auf die Küste drückte, so dass viele Pegel eine Dauer von mehr als 12 Stunden von Wasserständen größer als 1 Meter über den mittleren Wasserstand aufwiesen.

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Beispiel Hochwasser am 12. Februar 2011. Die Grafik zeigt mit den grünen und blauen Kurven die Ergebnisse des deutschen und schwedischen Wasserstandsvorhersagemodells. Die rote Kurve stellt die beobachteten Werte dar. Die Modellvorhersagen errechneten Hochwasserwerte bis zu einem Meter über dem mittleren Wasserstand (Quelle: BSH; sturmflut_ostsee_2010_02_12 (bsh.de)). Im Ergebnis überstiegen die Pegel im deutschen Ostseeraum die Prognosen zum Teil deutlich. Hintergrund war, dass zum Zeitpunkt des Beginns des Hochwassers von Seiten des Deutschen Wetterdienstes Windstärken aus Nord um 5 Beaufort (Bft.) berechnet waren. Tatsächlich lag zu Ereignisbeginn bereits ein Nordwind von 7 Bft an und ließ das Wasser an der Küste schneller und höher steigen als erwartet.

Und am 20./21. Oktober 2023? 

Mit Spannung werden wir den Bericht des BSH erwarten und auch an dieser Stelle darüber berichten. Aus Berichten von Augenzeugen, vornehmlich des Katastrophenschutzes ist zu entnehmen, dass das Hochwasser schneller und höher auflief und zu größeren Schäden führte als erwartet.

Betrachtet man die Einflussfaktoren für die Entwicklung einer Sturmhochwasserlage, wie sie eingangs beschrieben wurden, dann zeichnen sich recht deutlich die Unwägbarkeiten ab, die mit einer gesicherten Prognose verbunden sind. Und dann ist da immer noch die Gretchen-Frage: wieviel und wie stark soll gewarnt werden. Damit die Warnung immer noch als Warnung verstanden wird.

Hochwasservorhersage und vorsorgender Hochwasserschutz in Zeiten der Klimakrise

GEWÄSSERFORUM IN HANNOVER RÜCKT DIE VORSORGE FÜR EXTREMEREIGNISSE IN DEN FOKUS

Bildrecht: NLWKN

Am 20. April fand das diesjährige Gewässerforum des NLWKN (Niedersächsisches Landesamt für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) in Hannover statt. Auch deich-verteidigung war dabei und konnte während zahlreichen Vorträgen den Wissensstand aktualisieren.

Den vollständigen Bericht des NLWKN finden Sie unter: Hochwasservorhersage und vorsorgender Hochwasserschutz in Zeiten der Klimakrise | Nds. Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (niedersachsen.de)

„Der Schimmelreiter wird arbeitslos“

50 Jahre Eidersperrwerk

Heute vor 50 Jahren wurde das Eidersperrwerk eingeweiht. Seitdem schützt es das Gebiet um die Eider in Schleswig-Holstein vor den Sturmfluten der Nordsee und ist bis heute das größte Küstenschutzbauwerk Europas.

Der NDR widmet dem Jubiläum einen ausführlichen Bericht: https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Eidersperrwerk-zaehmt-seit-50-Jahren-die-Nordsee,eidersperrwerk214.html

Das Eidersperrwerk während einer Sturmflut. Quelle: https://www.shz.de/

Wächst die Hochwassergefahr?

von Thomas Preiß

Die aktuelle Wetterlage verspricht in den kommenden Tagen Spannung im Hinblick einer sich daraus entwickelnden Hochwasserlage. Die Niederschläge der vergangenen Wochen haben dazu beigetragen, dass auf den aktuellen Karten des DWD (v. 09.01.2023) die Bodenfeuchte für schwere und leichte Böden nahezu flächendeckend in Deutschland mit 100% der nutzbaren Feldkapazität angegeben wird.

Foto: https://www.duisburg.de/wohnenleben/wasser/hochwasserportal.php

Ausnahme bilden weite Teile Ostdeutschlands vorrangig in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg.

Mit einer Bodenfeuchte von 100% und darüber hinaus, wie einige Stationsdaten aus Baden-Württemberg zeigen, sind die Böden bereits sehr feucht und je feuchter, desto weniger können die Böden an zusätzlichen Niederschlägen aufnehmen.

Mit einer anhaltenden Westwetterlage werden in den kommenden Tagen jedoch weitere Niederschläge Deutschland erreichen.

Auf den aktuellen Karten von @Kachelmannwetter (v. 09.01.2023) werden bis Montag, den 19.01.2023, vorrangig in den Weststaulagen der Mittelgebirge im Süden und Westen Deutschlands Regenmengen von 50 bis über 100 Liter pro Quadratmeter erwartet.

Quelle: Kachelmannwetter

Weiterhin betroffen sind Luxemburg und West-Frankreich.

Damit wird die Hochwasserlage steigen.

Das verdeutlicht auch die 14-Tage-Wasserstandsvorhersage (v. 09.01.2023) für ausgewählte Rheinpegeln (Quelle www.elwis.de). So wird für die Rheinpegel Koblenz und Köln mit einem Hochwasser gerechnet, auch wenn das Überschreiten kritischer Hochwassermarken als gering eingeschätzt wird.

Gerade für kleinere Flussläufe sollte sich aber auf eine Hochwasserlage eingestellt werden. Denn auch hier zeigen viele Daten an den Pegeln, dass sich die Abflüsse bereits im Mittelwasser oder darüber bewegen.

Doch sollte keine Panik entstehen, ob sich aus der aktuellen Wetterlage bereits eine kritische Hochwasserlagen entwickelt, bleibt abzuwarten.

Die Lage ist zu beobachten.

Ausbildung – Grundlage für einen erfolgreichen Hochwassereinsatz

Wie werden Sandsäcke gefüllt?

Wie baut man einen Sandsackdamm?

Wie viele Sandsäcke brauche ich für eine Quellkade?

Im Hochwassereinsatz kommen viele Fragen auf.

Ohne eine adäquate Ausbildung stößt man schnell an seine Grenzen, wenn die notwendigen Maßnahmen nicht sogar zum Scheitern verurteilt sind.

Letzte Woche nutzten 19 Menschen aus der Wasserwirtschaft, von Behörden oder Kommunen die Möglichkeit, sich zum „geprüften Deichverteidiger“ weiterzubilden.

Die Deutsche Vereinigung für Wasser, Abwasser und Abfall e.V. (DWA e.V.), der Fachverband für Wasserwirtschaft, bietet seit Jahren Schulungen in der Deichverteidigung an. Seit letztem Jahr werden diese Schulungen durch einen Aufbaukurs ergänzt. 

Nächstes Jahr findet dieser Aufbaukurs erstmals als Prüfungsseminar statt, das als „geprüfter Berater operativer Hochwasserschutz“ abgeschlossen werden kann.

Auch deich-verteidigung ist an diesen Angeboten in Duisburg beteiligt.

Die Termine für das kommende Jahr hat die DWA e.V. bereits veröffentlicht und sind unter https://de.dwa.de/de/deichverteidigung.html nachzulesen.

Erkundung im Hochwassereinsatz

Um möglichst schnell effektive Hilfe leisten zu können, ist eine gute Erkundung die Basis für fundierte Entscheidungen. In großen Lagen sind die unterschiedlichen Akteure auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen. Dabei kann es entscheidend sein, sich breites Fachwissen geballt zusammenzuholen.

In der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift IM EINSATZ des S+K-Verlages ist ein Artikel zum Thema “Effektive Maßnahmenplanung durch strukturierte Erkundung” erschienen.

Dieser ist hier nachzulesen:

Vielen Dank an die Stumpf + Kossendey Verlagsgesellschaft für die Genehmigung der Veröffentlichung!

Schulung für Deichläufer

Vergangenes Wochenende waren wir zu Gast beim Deichverband Dormagen-Zons.

Hier hielten wir eine umfangreiche Schulung für die Deichläufer ab, die gemäß Hochwassereinsatzplan ab bestimmten, festgeschriebenen Hochwasserständen den Deich begehen, um eventuelle Schäden frühzeitig zu entdecken.

Foto: Erik Heinen/ Deichverband Dormagen-Zons

Die Teilnehmer wurden unter anderem in Maßnahmen der Deichverteidigung geschult, Aufgaben und Ausstattung der Deichläufer wurden ebenso thematisiert wie das Erkennen und Bewerten von Schäden am Deich.

Das erlernte Wissen haben die Teilnehmer anschließend in Planspielen sowie bei einer Praxisübung erprobt.

Siehe auch: Dormagen: Deichläufer sollen mögliche Schäden früh erkennen (dormago.de)

Vor 20 Jahren…

Haben wir alles falsch gemacht? Nein – wir hatten es nicht besser gewusst!von Dr. Geert Lehmann

Zeit: 17. August bis 31. August 2002

Ort: „Lauenburger Elbvorland“, der Elbedeich, rechtes Ufer, Flusskilometer 563 – 569

Kräfte: ca. 800 Helfer und Helferinnen der sieben THW Ortsverbände in Hamburg, zuzüglich 1.200 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr

Ziel: Verhinderung eines Deichbruchs, ein Altdeich im „übelsten“ Zustand, der Neubau des Deiches ist bereits geplant, es gibt eine Bodenuntersuchung im Bauwagen vor Ort, in der Zusammensetzung inhomogen, auf 400m Länge auf einer Torfschicht stehend…

Lage: am 18. August 2002 hatte der Landkreis Herzogtum Lauenburg Katastrophenalarm ausgelöst. Es wird ein Hochwasser erwartet, dass die Höhe des vorhandenen Deiches übersteigt. Die aus Hamburg eintreffenden THW Kräfte übernehmen von der örtlichen Feuerwehr, die zuvor die knapp 7 Kilometer Deich auf Weisung sowohl mit einem Sandsackdamm erhöht hatte als auch die Außenböschung des Deiches komplett mit einer wasserdichten Folie belegte, in dem Versuch, das Wasser der heranrollenden Flutwelle zu hindern, in den Deichkörper einzudringen …

 Diese wasserdichte Folie außendeichs wurde mit Sandsäcken beschwert. Bereits auf dem rechten Foto oben sieht man „Blähungen“, Blasenbildung durch Wind, der unter die Folie drückt. Gleichzeitig ist die Folie ständig durch Treibgut gefährdet, geschlitzt zu werden.

Alsbald setzte deshalb ein „Reparaturbetrieb“ ein: Boote des THW kontrollierten und sicherten auf Treibsel und Treibgut. Taucher der Schleswig Holsteiner Polizei kontrollierten die Folie unterwasser auf Defekte, reparierten und legten Sandsäcke neu, da die eintreffende Flutwelle bei einer Steilheit der Außenböschung von 1 : 2 die Sandsäcke bei zunehmendem Auftrieb unter Wasser wie geschmiert gen Fußpunkt rutschen ließen.  

Geradezu makaber war der Versuch, durch Tape einzelne Defekte und Schnitte der Folie Zentimeter für Zentimeter abzudichten.

Foto: Dr. Geert Lehmann

Nur ein Jahr später (27.11.2003) habe ich dann in einem Vortrag in München „lessons learnt“ die These und die Ergebnisse der Studie der Uni Karlsruhe, Prof. Dr. Josef Brauns vorgetragen und vertreten:

„Keine Folien außendeichs!“  

„Der Deichkörper wird in voller Höhe mit Wasser belastet und in gleicher Weise von Wasser durchströmt wie ohne Folienabdeckung.“

Foto: Dr. Geert Lehmann

Es ging ein Raunen durch den Veranstaltungssaal. Einige, die offenbar auch ihre Daseinsberechtigung am Verlegen von Folien außendeichs und am Einsatz von Tauchern zur Sicherung derselben knüpften, versuchten zu widersprechen. In meinen Unterrichten für die Führungskräfte des THW an den THW Ausbildungszentren und in den THW Ortsverbänden zum Thema „Hochwasserschutz und Deichverteidigung“ unterrichte ich dies bis heute und genauso: Keine Folien außendeichs!

Lessons learnt? Ja – und wir hatten den Deich vor 20 Jahren gehalten, trotz der Folien!

Vor 20 Jahren…

Notdeich in Dessau-Waldersee -Folienverbau im Sandsackdamm?

In diesen Tagen jährt sich eines der größten Hochwasser der Nachkriegszeit zum 20. Mal.

Es war mein erster großer Einsatz – seinerzeit noch als Helferin mit entsprechendem Blickwinkel. Heute – 20 Jahre später – würde sicherlich vieles anders laufen. Man hat gelernt, ich habe gelernt und lehre.

Hier zunächst ein Auszug aus meinem Artikel für das Jahrbuch 2002/2003 meiner Schule:

„…Dann ging es zur nächsten Einsatzstelle… bevor wir damit fertig waren, erreichte uns die Nachricht, dass am Schwedenhaus bei Waldersee ein Deich gebrochen war. Alle Einheiten im Gebiet sollten den laufenden Einsatz abbrechen und sich bei der Einsatzleitung für weitere Maßnahmen melden… Inzwischen wurde von der Einsatzleitung der Beschluss gefasst, durch das vom Wasser bedrohte Waldersee einen Notdeich zu ziehen… jede Einheit sollte eine fünfzig Meter lange Baustelle übernehmen und dort mit Hilfe von Freiwilligen einen 1,70 Meter hohen Sandsackdamm errichten. Die Zeit drängte, denn das Wasser floss mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern in der Minute auf Waldersee zu.

Etwa 50 von 170cm Höhe hat der Sandsackdamm erreicht. Gut zu sehen ist die chaotische Legeweise und die zwischen die Sandsacklagen gelegte Folie. Foto: THW Lehrte

Auf die erste Lage des Sandsackdammes sollte Folie gelegt und umgeschlagen werden, was sich später fatal auswirken sollte… Unser Abschnitt lag in der Mitte der zweieinhalb Kilometer langen Baustelle und so wurden vorn und hinten die Sandsacktransporte abgegriffen und wir hatten immer zu wenig Sandsäcke…

Das Wasser beginnt, sich am Sandsackdamm zu stauen, Landseitig sieht man ebenfalls in diesem frühen Baustadium schon Wasser – ein Indiz, dass die Sandsäcke nicht sorgfältig verlegt wurden und die Folie als wassersperrende Schicht nicht funktioniert. Foto: THW Lehrte

Es stellte sich heraus, dass der Sandsackdamm an einigen Stellen nicht dicht genug gebaut war… Zudem rutschten die Sandsäcke an manchen Stellen von der Folie, was den Sandsackdamm instabil machte… Mittlerweile war der Notdeich an so vielen Stellen instabil geworden, dass nur noch die undichten Stellen gestopft wurden.

Der Sandsackdamm ist kurz vor dem Versagen, die Sandsäcke rutschen von der Folie, Nachschub kommt nicht. Foto: THW Lehrte

Es wurde aber nicht mehr an Höhe gewonnen. [langsam wurde es dunkel] Gerade, als das Flutlicht angestellt wurde, brach der Notdeich an mehreren Stellen und alle erkannten, dass es für Waldersee keine Rettung mehr gab. Alle Einsatzkräfte wurden evakuiert…“

Sicherlich hätte diese Einsatzstelle anders koordiniert werden müssen. Die vielen Spontanhelfer waren zwar hoch motiviert, haben aber aufgrund der mangelnden Kenntnis die Sandsäcke nicht adäquat verlegt. Und binnen weniger Stunden einen zweieinhalb Kilometer langen Sandsackdamm mit einer Höhe von 1,70 Meter hochzuziehen ist selbst bei einer gut funktionierenden Logistik unmöglich.

Daneben sorgte aber vor allem der geforderte Folienverbau für das Versagen des Notdeiches.

Von einer einfachen, glatten und nassen Folie rutschen Sandsäcke (unabhängig vom Material) in der Regel sehr gut herunter, gerade auch, wenn die Sandsäcke nicht richtig verbaut werden.

Heutzutage wissen wir, dass Folie einen Sandsackdamm gut abdichtet – wenn sie korrekt verbaut wurde. Das bedeutet, die Folie eben NICHT in den Sandsackdamm einzubauen, sondern wasserseitig darüber zu legen, wenn der Sandsackdamm fertig ist. Wichtig ist, dass die Folie spannungsfrei, großzügig und möglichst ohne Falten verlegt wird, siehe Grafiken

Grafik: Miriam Herrmann
Grafik: Miriam Herrmann

Versuche haben gezeigt, dass die korrekt verlegte Folie einen Sandsackdamm nahezu abdichtet. Ohne wassersperrende Folie beträgt der Durchfluss bei einem zu 60cm eingestauten Sandsackdamm der Höhe 80cm bis zu einem Kubikmeter Wasser pro laufendem Meter. Wenn der Damm im Verbund gebaut wurde, bleibt dieser in der Regel trotzdem stabil. Man muss sich nichtsdestotrotz Gedanken machen, das durchströmte Wasser wieder zu beseitigen. Mit Folie ist dies kaum nötig.